Ein Geburtstagsbrief für Johanna

November 23, 2016 - Lesezeit: 4 Minuten

Liebe Johanna,

Wieder ein Geburtstag ohne Dich, Dein Vierzehnter. So sehr ich mich auch bemühe, diesmal fällt es schwer, mir vorzustellen, wie Du jetzt aussehen würdest. Gross und kräftig vielleicht, ein wenig schlaksig, weil Du - im Gegensatz zu den anderen Frauen in dieser Familie - die magische Marke von 1,60 m überschritten hast, und mit langen rotblonden Haaren natürlich, die sich noch immer nur schwer bändigen lassen. Würdest Du laufen oder im Rollstuhl sitzen? Selbst wenn der Sommer vor 5 Jahren anders verlaufen wäre und Du bei uns geblieben wärst, Deine Erkrankung hätte Dich begleitet. Unser Onkologe erzählte uns damals - bevor alles aus dem Ruder lief - von einem neuen Medikament in der Testphase, das die Wachstumssignale des Tumors vielleicht blockieren könnte. Damit hättest Du vielleicht leben können.

Ich weiß, es ist müßig, darüber nachzudenken, aber manchmal machen sich die Gedanken selbstständig, zusammen mit dem unerfüllbaren Wunsch, Dich zurückzubekommen. Ich hätte Dich so gerne hier, in unserem Haus und ich weiß, es geht nicht nur mir so. Deine Schwester hat letzten Sonntag ein neues Bett bekommen, eingebaut unter der Dachschräge mit kleinen Regalfächern. Und in eines dieser Fächer stellte Mascha sofort Dein Foto, gleich daneben die Engelsfigur und die Kerze. Das ist inzwischen ein fester Bestandteil ihrer Schlafecke. Egal wo im Haus sie bisher geschlafen hat, Du musstest dort Deinen Platz haben. Seit sie oben ihr Dachzimmer hat, sagt sie, ist sie Dir noch näher. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie Dir abends mit Blick in den Himmel gute Nacht sagt. Heute wünsche ich mir jene Abende im November zurück, an denen ich noch spät abends in der Küche stand, um Deinen Geburtstagskuchen zu backen. Natürlich konnte ich erst damit anfangen, wenn Du schon im Bett warst. Es sollte ja eine Überraschung sein, genauso wie die Luftballons und Girlanden an Deinem Bett, die ich immer erst anbringen konnte, wenn Du schon tief und fest schliefst. Oft genug hast Du mit dem Einschlafen gewartet, bis der Nachtdienst gegen 22 Uhr da war. Im Gegensatz zu Deiner Schwester warst Du nämlich eine Nachteule. Da gab es so manche Diskussion zwischen uns, erinnerst Du Dich? Früh aufstehen war eher nicht so Dein Ding.

Das würde auch zu dem Teenager passen, der Du heute wärst. Ich frage mich, welche Dinge Dich interessieren würden. Vielleicht würdest Du Comics lesen wie Deine 13-jährige Cousine, oder lieber Krimis wie Deine Oma, oder Fantasy-Geschichten, die mag ich am liebsten. Ob Du Dich auch für Punkrock begeistern könntest wie Mascha? Ich hab keine Ahnung, aber ich bin sicher, Du hättest uns überrascht, hättest auf jeden Fall Dein eigenes Ding gemacht, Dir Deine eigene Meinung gebildet. Das war schon damals so. Ich bin traurig, dass ich nie herausfinden werde, was Dein 14-jähriges Ich cool gefunden hätte und noch über so einiges mehr, was ich nicht mehr erleben kann - mit Dir. Aber dieser Tag wird immer Dein Geburtstag sein, und weil ich es nicht besser weiß, hab ich Dir den Elefanten und die Maus als Plüschtier gekauft, die fandest Du zumindest damals gut. Sei nicht sauer mit mir, aber sie werden süß aussehen in Deinem Gärtchen. Wir werden dort stehen und an Dich denken.

Happy Birthday Johchen, Deine Mama

About

Ich bin Daniela und habe diesen Block begonnen, um die Chemotherapie unserer Tochter Johanna zu dokumentieren. Dass daraus ein Blog über die Verarbeitung von Trauer über den Verlust des eigenen Kindes werden würde, hab ich nicht vorausgesehen. Hier möchte ich ihre Geschichte erzählen, damit sie nicht vergessen wird. Aber vielleicht kann ich anderen Betroffenen auch ein wenig helfen.