Johanna Museet - oder wie Johanna zu einem Museum kam

August 8, 2024 - Lesezeit: 4 Minuten

Wir haben August und es ist Sommer - endlich. Er hat sich ein paar Wochen Zeit gelassen, aber nun ist er da. Nach einem heißen und anstrengendem Tag im Büro, sitze ich nun hier, um zu schreiben. Auch wenn ich jeden Tag an Dich denke, bleibt im Alltag keine Zeit, um die Gedanken auf das Papier bringen - oder wie in meinem Fall in diesem Blog niederzuschreiben. Ich schaffe es nur zweimal im Jahr, aber das ist nicht schlimm. Um so wichtiger sind mir diese Zeilen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie uns Jahr für Jahr immer wieder Dinge begegnen, die uns an Dich erinnern. Dieses Jahr, dieser Sommer ist da keine Ausnahme. Es ist nicht überraschend, dass wir ihn im Urlaub haben, einen Johanna-Moment. Wir waren wieder in Schweden, diesmal nicht mit dem Wohnmobil, sondern mit unserem Berlingo. Eine selbstgebaute Campingbox im Auto  zum Schlafen reicht und die Heckküche um zu kochen. Man braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Wir sind viel draußen in der Natur, genießen die Ruhe beim Radfahren oder auch mit dem Paddelboot. Keine Verpflichtungen oder Termine. Aber ein paar Sehenswürdigkeiten wollen wir doch sehen, bevor es wieder zurückgeht und so findet Micha das Johanna Museet in Skurup. Ein Johanna-Museum, das müssen wir uns ansehen.

Dort angekommen erwartet uns eine von außen recht unscheinbar aussehende Scheune mit Anbau. Als wir sie betreten, kommen wir aus dem Staunen nicht heraus.  Alte Fahrräder aus dem 18. und 19. Jahrhundert, darunter einige noch aus Holz, stehen neben Oldtimern, alten Tanksäulen und vielen anderen Gegenständen, ein Sammelsurium der Geschichte. Werkstätten mit fein säuberlich aufgehängten Werkzeugen aus einer Zeit, in der es weder Akkuschrauber noch Stichsäge gab, sondern noch alles Handarbeit war. Dieser Ort ist so voller Leben, dass ich mir unwillkürlich vorstelle, wie Du staunend durch die Räume läufst und uns Löcher in den Bauch fragst. Telefone von den Anfängen der Telefonie, als Hörer und Sprechmuschel noch getrennt waren, ordentlich aufgereiht und beschriftet. Ein altes Telefon mit Wählscheibe ist sogar funktionsfähig. Wir sehen, wie ein Junge, vielleicht 7 oder 8 Jahre alt, wählt und ein paar Apparate weiter klingelt es. Ein älterer Mann geht dran, wohl sein Opa  und ich muss lächeln, als ich sehe, wie viel Spaß sie haben. Wir haben nicht herausgefunden, warum das Museum so heißt, aber wie es scheint, ist diese Sammlung ein Familienprojekt und vielleicht war ja eine Johanna darunter. Ich kann mir vorstellen, dass ihr euch gut verstanden hättet - wenn man die Sprachbarriere mal vergisst. Für uns ist es Dein Museum, oder vielleicht auch nur eine Erinnerung, die Du uns geschickt hast. Ich muss schmunzeln und suche nach dem nächsten Johanna-Moment, über den wir gestolpert sind. Der überrascht uns im Kino, wir schauen die Vorschau und neben Erwachsenenfilmen werden auch Vorstellungen für Kinder angezeigt. Lars, der Eisbär, Der kleine Drache Kokosnuss - kommt Dir das bekannt vor  - und Laura´s Stern. Prompt sagt Micha, weißt Du noch, da waren wir mit den Kindern das erste Mal im Kino. Keine 10 Minuten nach Beginn des Films wollte Johanna raus, es war alles zu viel, zu laut, zu dramatisch. Wir lachen beide, als wir uns erinnern. Wir haben das Experiment abgebrochen und sind nach Hause gegangen. Bücher waren wohl doch die bessere Alternative, die hast Du geliebt, wobei ich gar nicht weiß, ob Du nach diesem Erlebnis noch einmal Laura´s Stern lesen wolltest. Mit den Geschichten von Lars Eisbär verbinde ich eine sehr intensive Erinnerung. Diese Hörbücher gehörten zu Deinen liebsten, bevor man den Tumor entdeckt hat, Du warst noch keine zwei Jahre alt. Wir haben sie bei Autofahrten und auch zu Hause ständig gehört. Als Du nach der Narkose für das MRT im Krankenhaus aufgewacht bist, hast Du als erstes nach Lars Eisbär verlangt. Ich habe die Kassette angemacht - damals hatten wir noch Kassetten - und Du bist wieder eingeschlafen. In den Wochen nach der Operation, in denen Du in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen gefangen warst, war das eine der Geschichten, die wir immer wieder abgespielt haben in der Hoffnung, dass Du zu uns zurückkommen kannst, dass Du aufwachst. Und Du bist aufgewacht und dieser Gedanke zaubert wieder ein Lächeln auf mein Gesicht. Du wolltest weitere Geschichten hören, Du wollest eigene erfinden, Du wolltest die Johanna werden, die Du bis zum Schluss gewesen bist. Ein fröhliches, temperamentvolles Kind, neugierig auf die Welt, mit unerschöpflicher Phantasie. Das ist das, was bleibt, das was mich lächeln lässt, auch wenn ich traurig bin, dass Du nicht mehr da bist. Ich hoffe und wünsche mir immer wieder einen Johanna-Moment, der mich lächeln lässt.

About

Ich bin Daniela und habe diesen Block begonnen, um die Chemotherapie unserer Tochter Johanna zu dokumentieren. Dass daraus ein Blog über die Verarbeitung von Trauer über den Verlust des eigenen Kindes werden würde, hab ich nicht vorausgesehen. Hier möchte ich ihre Geschichte erzählen, damit sie nicht vergessen wird. Aber vielleicht kann ich anderen Betroffenen auch ein wenig helfen.