Johanna Museet - oder wie Johanna zu einem Museum kam

August 8, 2024 - Lesezeit: 4 Minuten

Wir haben August und es ist Sommer - endlich. Er hat sich ein paar Wochen Zeit gelassen, aber nun ist er da. Nach einem heißen und anstrengendem Tag im Büro, sitze ich nun hier, um zu schreiben. Auch wenn ich jeden Tag an Dich denke, bleibt im Alltag keine Zeit, um die Gedanken auf das Papier bringen - oder wie in meinem Fall in diesem Blog niederzuschreiben. Ich schaffe es nur zweimal im Jahr, aber das ist nicht schlimm. Um so wichtiger sind mir diese Zeilen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie uns Jahr für Jahr immer wieder Dinge begegnen, die uns an Dich erinnern. Dieses Jahr, dieser Sommer ist da keine Ausnahme. Es ist nicht überraschend, dass wir ihn im Urlaub haben, einen Johanna-Moment. Wir waren wieder in Schweden, diesmal nicht mit dem Wohnmobil, sondern mit unserem Berlingo. Eine selbstgebaute Campingbox im Auto  zum Schlafen reicht und die Heckküche um zu kochen. Man braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Wir sind viel draußen in der Natur, genießen die Ruhe beim Radfahren oder auch mit dem Paddelboot. Keine Verpflichtungen oder Termine. Aber ein paar Sehenswürdigkeiten wollen wir doch sehen, bevor es wieder zurückgeht und so findet Micha das Johanna Museet in Skurup. Ein Johanna-Museum, das müssen wir uns ansehen.

Dort angekommen erwartet uns eine von außen recht unscheinbar aussehende Scheune mit Anbau. Als wir sie betreten, kommen wir aus dem Staunen nicht heraus.  Alte Fahrräder aus dem 18. und 19. Jahrhundert, darunter einige noch aus Holz, stehen neben Oldtimern, alten Tanksäulen und vielen anderen Gegenständen, ein Sammelsurium der Geschichte. Werkstätten mit fein säuberlich aufgehängten Werkzeugen aus einer Zeit, in der es weder Akkuschrauber noch Stichsäge gab, sondern noch alles Handarbeit war. Dieser Ort ist so voller Leben, dass ich mir unwillkürlich vorstelle, wie Du staunend durch die Räume läufst und uns Löcher in den Bauch fragst. Telefone von den Anfängen der Telefonie, als Hörer und Sprechmuschel noch getrennt waren, ordentlich aufgereiht und beschriftet. Ein altes Telefon mit Wählscheibe ist sogar funktionsfähig. Wir sehen, wie ein Junge, vielleicht 7 oder 8 Jahre alt, wählt und ein paar Apparate weiter klingelt es. Ein älterer Mann geht dran, wohl sein Opa  und ich muss lächeln, als ich sehe, wie viel Spaß sie haben. Wir haben nicht herausgefunden, warum das Museum so heißt, aber wie es scheint, ist diese Sammlung ein Familienprojekt und vielleicht war ja eine Johanna darunter. Ich kann mir vorstellen, dass ihr euch gut verstanden hättet - wenn man die Sprachbarriere mal vergisst. Für uns ist es Dein Museum, oder vielleicht auch nur eine Erinnerung, die Du uns geschickt hast. Ich muss schmunzeln und suche nach dem nächsten Johanna-Moment, über den wir gestolpert sind. Der überrascht uns im Kino, wir schauen die Vorschau und neben Erwachsenenfilmen werden auch Vorstellungen für Kinder angezeigt. Lars, der Eisbär, Der kleine Drache Kokosnuss - kommt Dir das bekannt vor  - und Laura´s Stern. Prompt sagt Micha, weißt Du noch, da waren wir mit den Kindern das erste Mal im Kino. Keine 10 Minuten nach Beginn des Films wollte Johanna raus, es war alles zu viel, zu laut, zu dramatisch. Wir lachen beide, als wir uns erinnern. Wir haben das Experiment abgebrochen und sind nach Hause gegangen. Bücher waren wohl doch die bessere Alternative, die hast Du geliebt, wobei ich gar nicht weiß, ob Du nach diesem Erlebnis noch einmal Laura´s Stern lesen wolltest. Mit den Geschichten von Lars Eisbär verbinde ich eine sehr intensive Erinnerung. Diese Hörbücher gehörten zu Deinen liebsten, bevor man den Tumor entdeckt hat, Du warst noch keine zwei Jahre alt. Wir haben sie bei Autofahrten und auch zu Hause ständig gehört. Als Du nach der Narkose für das MRT im Krankenhaus aufgewacht bist, hast Du als erstes nach Lars Eisbär verlangt. Ich habe die Kassette angemacht - damals hatten wir noch Kassetten - und Du bist wieder eingeschlafen. In den Wochen nach der Operation, in denen Du in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen gefangen warst, war das eine der Geschichten, die wir immer wieder abgespielt haben in der Hoffnung, dass Du zu uns zurückkommen kannst, dass Du aufwachst. Und Du bist aufgewacht und dieser Gedanke zaubert wieder ein Lächeln auf mein Gesicht. Du wolltest weitere Geschichten hören, Du wollest eigene erfinden, Du wolltest die Johanna werden, die Du bis zum Schluss gewesen bist. Ein fröhliches, temperamentvolles Kind, neugierig auf die Welt, mit unerschöpflicher Phantasie. Das ist das, was bleibt, das was mich lächeln lässt, auch wenn ich traurig bin, dass Du nicht mehr da bist. Ich hoffe und wünsche mir immer wieder einen Johanna-Moment, der mich lächeln lässt.


Eine Geburtstagstorte für die Katze an Deinem 21. Geburtstag

November 23, 2023 - Lesezeit: 4 Minuten

Heute war es den ganzen Tag grau und regnerisch, ein Wetter zum sich verkriechen. Der Blick auf die Wetter-App zeigt, morgen wird es auch nicht besser, aber morgen ist Dein Geburtstag. Ich möchte die trüben Gedanken vertreiben, setze mich an den Laptop und scrolle durch unsere Bildergalerie. Ich suche nach schönen Tagen im Herbst und finde Bilder von 2008. Wir waren auf einer Halloween-Party bei unserem Pflegedienst, Du und Deine Schwester sind als Hexen verkleidet und sogar geschminkt. Auf dem nächsten Bild sieht man Deinen kritischen Blick in den Spiegel - das war wohl zu viel Schminke für Deinen Geschmack, Du guckst schon sehr finster und ich muss lachen. Na dann schauen wir mal, was ich noch finde. Ein Jahr zuvor haben wir zusammen mit Oma und Opa einen Ausflug in den Tierpark gemacht. Du hast sichtlich Spass im Streichelzoo bei den Ziegen und Schafen, obwohl Du auch ordentlich Respekt hattest, denn viel größer als die Vierbeiner bist Du nicht und in diesem Jahr zwar schon laufend unterwegs, aber brauchst noch immer eine Hand, die Dich hält. Ich erinnere mich auch ohne Fotos gut an diesen Ausflug. Es war zwar auch kalt und windig, aber ein wunderschöner Tag, den wir als Familie sehr genossen haben.

Ich schaue weiter und lande im Jahr 2006, sehe Dich ohne deine roten Locken. Das war eine schwierige Zeit, voller Krisen, aber ich möchte bei den schönen Tagen bleiben und suche weiter. Das Jahr 2009 - Dein 7. Geburtstag ist der erste, den Du als Schulkind gefeiert hast. Dein Pflegebett ist mit einer Piraten-Geburtstags-Girlande geschmückt, denn Deine Vorliebe für Antihelden war da schon sehr ausgeprägt. Im Bett ordentlich aufgereiht sitzen der kleine König, die Prinzessin und all Deine Puppen. Da ist auch Paul, die Babypuppe - Du hattest Dir unbedingt einen Jungen gewünscht und ihn an diesem Tag bekommen. In der Ecke gleich neben dem Pferd Greta sitzt Malte, Dein Plüschdinosaurier und auch zu dem gibt es eine Geschichte.  Malte ist eigentlich ein Junge aus einem Buch, der ziemlich frech und ungezogen ist. Die Sternenschaukel war eines Deiner Lieblingsbücher, wir haben oft daraus vorgelesen. Irgendwann hast Du Deinen Dino dann Malte getauft, offensichtlich war er wohl auch frech - zumindest in Deiner Phantasie.  Ein paar Fotos weiter sieht man Dich tief schlafend in Deinem Bett. Du warst den ganzen Tag so aufgedreht und glücklich, dass es Dich am Abend regelrecht umgehauen hat. Von einem Moment auf den anderen war Stille. Als ich das sah, musste ich es unbedingt fotografieren. So wie ich jetzt weitergehen muss, zum nächsten Jahr. Vom November habe ich hier nur wenig Fotos, in dem Jahr hattest Du Dir die Windpocken eingefangen, ein kurzer Klinikaufenthalt war notwendig und danach warst Du noch eine ganze Weile sehr geschwächt. Deinen Geburtstag haben wir daher ganz ruhig gefeiert mit Oma und Opa bei uns zu Hause. Da ist ein Foto von Deinem Geburtstagstisch. In dem Jahr hast Du Deine Kochschürze bekommen und und Deine Uroma hatte Dir Pulswärmer genäht. Du sahst sehr lustig aus mit der Kochschürze und den Pulswärmern an den Händen, wolltest aber beides den ganzen Nachmittag und Abend anbehalten. Bei dem kalten Wetter heute wären die Pulswärmer eigentlich keine schlechte Idee, aber ich glaube, wir haben die nicht mehr, aber das Buch "Eine Geburtstagstorte für die Katze", das Du auch zu Deinem 8. Geburtstag bekommen hast, das haben wir noch und damit schließt sich der Kreis. Die Geschichten von Petterson und Findus sind für uns so fest mit Dir verbunden. Ich hole das Buch aus dem Schrank und blättere darin. Sofort fällt mir ein, dass wir genau wegen dieser Geschichte zu Deinem Geburtstag ein paar Jahre später versucht haben, eine Eierkuchentorte zu backen. Das ist genau wie im Buch mehr oder weniger gut gelungen, aber darauf kam es nicht an, denn seit 2011 mussten wir Deinen Geburtstag ohne Dich feiern und da war es einfach schön, Dir auf diese Art nah zu sein. Findus hat inzwischen auch seinen festen Platz auf Deinem Grab. Er sitzt auf einem Stein und schaut aus, als würde er jeden Augenblick eine von seinen phantastischen Ideen haben. Um ihn herum blüht die Heide, bunt und schön. Morgen werden ein paar kleine lustige Schneemänner dazukommen und ich glaube, Deine Schwester hat auch eine Überraschung für Dich besorgt. Und morgen Abend werden wir wohl gemeinsam noch einmal "Eine Geburtstagstorte für die Katze" lesen und so bei Dir sein. Diesmal gibts wohl keine Sonne hier unten, aber Du siehst bestimmt die Sonne strahlen, und der Mond und  die Sterne scheinen nur für Dich. Happy Birthday, liebe Johanna, in Liebe Mama


An den Landungsbrücken raus

November 23, 2022 - Lesezeit: 4 Minuten

Es ist erstaunlich, dass die Dinge sich manchmal ganz anders entwickeln, wenn man Zeit hat. Dein Geburtstag fällt eigentlich in eine hektische Zeit, auf Arbeit steht der Jahresabschluss an, zu Hause beginnen langsam die Vorbereitungen für die Weihnachtszeit. Nun habe ich in diesem Jahr ausnahmsweise einmal Urlaub, eine ganze Woche sogar und wir sind tatsächlich weggefahren, unsere Freunde an der Nordsee besuchen. Aber es fällt mir trotzdem schwer, die Ruhe zu finden, um meine Zeilen an Dich zu schreiben, aber hab Geduld mit mir, das wird schon. Unser Urlaub hat schon mal gut angefangen. Wir waren am Sonntag in Tonder (Dänemark) auf einem Weihnachtsmarkt. Neben den üblichen Büdchen gab es dort aber auch eine sehr spezielle Apotheke "det Gamle Apotek",  in einem Eckhaus am Markplatz. Die alten Doppelkastenfenster waren üppig dekoriert, aber die richtige Überraschung erwartet den Besucher drinnen. Denn neben Kräutern, Salben und Teemischungen war der Laden über drei Etagen bis in die Dachkammern gefüllt mit allerlei Dekorativem. Passend zur Jahreszeit gab es natürlich viel Weihnachtliches, Kerzen in allen Formen und Farben, Geschirr und lustige Tassen aus Keramik und zahlreiche Figuren, vor allem natürlich Wichtel, denn die Scandinavier haben ja ein spezielles Verhältnis zur magischen Welt. Als ich so durch den Laden ging, der immer verwinkelter wurde, musste ich sofort an Dich denken, denn gerade die Wichtel mit ihren tief ins Gesicht gezogenen Mützen - nur die Nase schaut heraus - sahen unglaublich lustig aus. Da fiel es sehr schwer, sich zu entscheiden. Ganz oben in einer der Dachkammern habe ich ihn dann gefunden, mit seinem verschmitzten Lächeln blickt er ein bisschen frech in die Runde und ich wusste sofort, der ist es. Du musst Dich allerdings ein wenig gedulden mit der "Lieferung", denn wir kommen erst am Freitag nach Deinem Geburtstag zurück.

Am Montag sind wir dann nach Hamburg gefahren und tatsächlich an den Landungsbrücken raus. Du wirst genau wissen, was damit gemeint ist und auch ich habe sofort das Lied von Kettcar im Ohr. Den Song haben wir gehört, als wir in Hamburg von der Autobahn abfuhren, und dann wurde lauthals "An den Landungsbrücken raus" mitgesungen. Ich schnappe mir meine Kopfhörer, um ihn noch einmal zu hören und frage mich, wie viel ihr davon verstanden habt. "Wollt ich leben und sterben wie ein Toastbrot im Regen" hört sich isoliert betrachtet sehr seltsam an. Für mich ist heute vor allem eine Textzeile sehr präsent: "Die Erinnerungssplitter liegen herum, ich tret´rein" und bin im Sommer 2010, als wir gemeinsam im Kinderhospiz Sternenbrücke  Urlaub gemacht haben. Es war nur eine Woche, aber die war - zumindest nach meiner Erinnerung - sehr ereignisreich. Als erstes muss ich an unseren Besuch in der Miniaturenwelt denken und genau das ist der Grund, warum ich in diesem Jahr noch einmal dorthin wollte. Gut 12 Jahre später muss ich allerdings feststellen, dass mir nur wenig bekannt vorkommt. Es mag sein, dass viele neue "Welten" gebaut worden sind, aber ich bin überrascht, dass ich nicht einmal mehr weiß, welches Länder oder Orte in "Mini" wir mit euch damals angeschaut haben. Aber ich weiß noch genau, wie begeistert ihr wart, als es plötzlich "Nacht" wurde und die beleuchteten Züge herumfuhren. Ich erinnere mich aber auch daran, dass es sehr anstrengend war, mit dem Rollstuhl durch die schmale Gänge zu manövrieren. Die vielen Eindrücke waren irgendwann zu viel für Dich und auch für Deine Schwester. Wir haben wohl nur einen  Bruchteil der Ausstellung gesehen und sind dann raus in die Sonne am Hafen entlang spaziert. Das Wetter war sommerlich warm und es gab ja auch große Schiffe zu bestaunen. Du warst ja damals schon begeistert von Piraten. Es war übrigens der einzige Ausflug in die Stadt, den wir gemacht haben.  Wir haben ansonsten  viel Zeit im Hospiz verbracht. Der große Garten mit Wasserspielplatz hatte es Dir angetan und auch im Spielzimmer drinnen konntest Du Dich gemeinsam mit Mascha stundenlang beschäftigen. Teilweise war für Dich eine 1:1 Betreuung durch eine Krankenschwester gewährleistet, was bedeutete, dass wir Dich eben nicht rund um die Uhr im Auge behalten mussten. Da blieb dann auch für uns Zeit zum lesen und zum entspannen. Das brauchten wir auch, denn 2010 war auch das Jahr, in dem Du wieder in Therapie musstest. Du hattest bereits Deine ersten Infusionen einer neuartigen experimentellen Antikörpertherapie bekommen und gut vertragen. Gemeinsam mit unserem Onkologen verschoben wir den nächsten Zyklus so, dass wir wenigstens eine Woche nach Hamburg fahren konnten. Es war ohnehin sehr schwer gewesen, hier einen Platz zu bekommen. Wir haben diese Auszeit sehr genossen und viele unglaublich schöne Erinnerungen mitgenommen und nicht nur das, auch die Walflossenskulptur und das Seepferdchen sind hier entstanden und nun - Erinnerungssplitter, was für ein seltsames Wort, aber es beschreibt so zutreffend dieses Gefühl, so schmerzhaft und schön und so bin ich wieder an den Landungsbrücken raus mit Dir in meinem Herzen. Happy Birthday, Johchen, Morgen ist Dein 20. Geburtstag und die Sonne, der Mond und die Sterne scheinen nur für Dich.


Ob das Vergessen unvermeidlich ist

August 8, 2022 - Lesezeit: 7 Minuten

Diesmal beginne ich mit einem Zitat aus "Das Schicksal ist ein mieser Verräter": "Ich weiß, dass Liebe nichts als ein Ruf in die Wüste ist und das Vergessen unvermeidlich ist." Erst kürzlich habe ich mir den Film wieder einmal angesehen, kenne natürlich auch das Buch. Es hat mich damals viel Überwindung gekostet, den Roman zu lesen, im Jahr nach Deinem Tod. Aber die Geschichte dieser beiden jungen Menschen, deren Schicksal Deinem so ähnlich ist, hat mich tief berührt, eben auch weil sie kein Happy End hat. Trotzdem ist so viel Leben darin und der Wille, sich dem "Schicksal" in den Weg zu stellen, sich zu holen, was möglich ist und wenn es eine Reise nach Amsterdam ist. Hazel Grace erinnert mich ein wenig an Dich. Was mich zu dem anderen Thema bringt, dem Vergessen. Ist es wirklich unvermeidlich?

Ich weiß, im Alltag kann ich mich nicht in Erinnerungen verlieren, aber wenn ich zur Ruhe komme, allein bin, nehme ich mir manchmal die Zeit, durchsuche ich mein Gedächtnis nach Erlebnissen mit Dir oder eben auch den Computer, um die Erinnerung aufzufrischen. Erst neulich habe ich in alten Videos gestöbert. In unserem ersten Urlaub auf Sylt haben wir recht viel gefilmt. Da sitzen wir z. B. in der Küche unserer Ferienwohnung und essen gemeinsam, es gab Lachs, eines Deiner Lieblingsgerichte. Schon im Kinderhospiz Sonnenhof hast Du das gern gegessen. Dabei hast Du erklärt, "Ich esse keinen Fisch, ich esse nur Lachs." Genau diesen Spruch hatte ich in dieser Filmaufnahme rausgekitzelt, wollte ihn unbedingt festhalten. Ich sehe diese bewegten Bilder und frage mich, wieso wir das nicht immer  gemacht haben. Warum haben wir nicht alles festgehalten, die ganzen 8 1/2 Jahre, wo wir doch wussten, dass es endlich ist? Zeitgleich ist mir bewusst, dass das nicht möglich und auch sinnlos ist. Mit einer Kamera vor der Nase ist man nicht dabei, nicht wirklich. Man nimmt den Moment nicht im ganzen war, sondern erlebt ihn mit Distanz. Ich muss an die "Japaner" mit ihrer Knipserei denken, ganz Europa in 7 Tagen, klick klick klick. Die werden sich nur erinnern, wenn sie die Fotos sehen. Nein, das ist keine Lösung, auch wenn ich mir manchmal wünsche, wir hätten noch mehr "Material". Du mochtest die Filmerei ohnehin nie. Also bleibt mir nur die echte Erinnerung, mit den Geschichten von Dir, die sich eingeprägt haben, wie ein helles Licht in der Dunkelheit, meine Brücke zu Dir.

Und an Tagen, wie diesen hole ich diese Erinnerungen hervor, wie einen Schatz. Welche wird es diesmal sein? Vielleicht der erste Geburtstag, den wir wieder richtig feiern konnten, fast ein Jahr nach der OP. Du bist drei Jahre alt geworden. Gefeiert haben wir noch nicht zu Hause, sondern im Kinderhospiz Sonnenhof, mit Oma und Opa und Oma (mein Vater war leider nicht Berlin), natürlich Deiner Schwester Mascha und gute Freunde von uns waren mit ihrer Tochter Luca da. Es wurde ein richtiger Kindergeburtstag, mit Kuchen und Süßigkeiten und natürlich vielen Geschenken, schließlich musste der 2. Geburtstag - damals lagst Du frisch operiert auf der Intensivstation - irgendwie nachgeholt werden. Ihr habt vieles ausprobiert, miteinander gespielt und natürlich getobt. Du konntest Dich damals gerade wieder so auf allen Vieren bewegen, aber Mascha und Luca sind einfach mit Dir um die Wette gekrabbelt, als wäre es das Normalste auf der Welt. Ich glaube, an diesem Tag gab es nichts, was unser Glück getrübt hat. Für einen Moment war alles andere vergessen.

Anfang Dezember haben wir geheiratet und es war bis kurz vorher nicht klar, ob Du dabei sein kannst, denn seit der OP bist Du immer mit dem Krankenwagen transportiert worden. Keine Ahnung, ob man einen Krankenwagen für die Teilnahme an einer Trauung bekommt -  wohl eher nicht. Aber die Pflegedienstleitung hat Dich mit einem  Pkw gerade noch rechtzeitig gebracht. Ich erinnere mich noch deutlich, wie sehr wir uns gefreut haben, als Du endlich ankamst. Ich glaube nicht, dass es für dich so wichtig war, aber unseren Tag hat es perfekt gemacht. Meine Eltern hatten einen Fotografen engagiert, der über ein Jahr nach der OP nun endlich wieder Bilder von uns gemeinsam als Familie gemacht hat. Diese Aufnahmen schaue ich mir immer wieder gern an, sie sind einfach unbezahlbar. Zwei Jahre später haben wir Dich dann endlich zu uns nach Hause holen können und damit begannen, zumindest nach meiner Erinnerung, Deine besten Jahre. Ob Du das auch so empfunden hast? Ich hoffe es sehr. Wir wurden wieder eine richtige Familie. Natürlich war es anfangs nicht einfach, in den Alltag zu finden, der immer noch vollgepackt war  mit medizinisch notwendiger Pflege, Therapie- und Arztterminen. Von nun an 8 Stunden am Tag und 8 Stunden in der Nacht Pflegepersonal in der Wohnung zu haben, war auch eine Umstellung. Aber wir waren dankbar für die Unterstützung und vor allem den Nachtschlaf, den wir ohne Schwestern/Pfleger nicht bekommen hätten. Aber so nach und nach kehrte "unsere Normalität" ein. Wenn wir keinen Frühdienst da hatten, hab ich den Nachdienst verabschiedet und dann die Wohnzimmertür aufgemacht, damit ich den Monitoralarm höre. Am Wochenende war Mascha immer als erstes bei Dir, hat Dir Spielzeug mitgebracht und ihr habt gequasselt und gespielt. Meist bin ich kurz aufgestanden, um den Sauerstoffschlauch abzunehmen, damit Du Dich beim Spielen im Bett nicht verhedderst. Dann noch kurz dösen, bis es wirklich Zeit wurde für das Morgenprogramm. Meist stand neben der Morgenwäsche noch Inhalieren an und mit Waschen, Anziehen, Verbandswechsel und Stomapflege, konnte da schon mal eine Stunde ins Land gehen. Am Wochenende dann zu viert am Frühstückstisch sitzen, haben wir jedes Mal genossen, denn das war nicht selbstverständlich und ich bin froh, dass wir das auch damals so wahrgenommen haben. Unser Ausflüge zum Spielplatz, mal lang, mal kurz, wurden Teil dieser neuen Normalität. Wenn ich es so recht bedenke, haben wir nichts Spektakuläres gemacht. Hin und wieder mal einen Ausflug in den Tierpark, in den Zoo, Karls Erdbeerhof haben wir auch besucht, nichts besonderes halt, aber wir haben Dich nicht in Watte gepackt. Du durftest im Dreck wühlen, Dir auch mal eine Schramme holen, hingefallen bist Du am Tag gefühlt 100mal - gut man war immer unmittelbar neben Dir, weil da war ja auch noch das Problem mit der Atmung, die plötzlich aussetzen konnte oder ein Krampfanfall, der Dich außer Gefecht setzt. Aber es war uns wichtig, dass Du so normal wie möglich leben kannst, trotz oder gerade wegen Deiner Erkrankung. Heute bin ich so froh, dass wir das so gemacht haben. Ich hoffe irgendwie, dass Du das auch so siehst. Madmoiselle 1000Volt hat unser Onkologe Dich einmal genannt. Er hätte es nicht besser ausdrücken können. Du warst ein so lebensfrohes Kind, voller Power, zumindest in den Zeiten, in den Du gesund warst - bis auf den Tumor in Deinem Kopf. Ich glaube, wärst Du so alt geworden wie Hazel Grace, wärst Du auch nach Amsterdam gefahren - oder nach Paris oder sonstwo hin. Du hättest Deinen Kopf durchgesetzt. Doch das Schicksal ist ein mieser Verräter - aber das Vergessen ist nicht unvermeidlich. Das weiß ich einfach, denn in weiteren 10 Jahren werde ich mich immer noch erinnern. In Liebe Deine Mama


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Und morgen wärst Du 19

November 23, 2021 - Lesezeit: 4 Minuten

Der Abend vor Deinem Geburtstag und meine Gedanken kreisen um Dich, wie immer in dieser Zeit. Die letzten Tage waren grau und trübe, selbst am Totensonntag konnte man kaum die Sonne sehen. Der Friedhof aber war voller Menschen, die an ihre Liebsten gedacht haben. Das fand ich schön, und Mascha auch. Auch Dein Grab war wie immer bunt mit Heide bepflanzt und dazu die vielen kleinen Figuren, die wir Dir immer wieder bringen. Am Sonntag ist der Elefant von der Sendung mit Maus dazugekommen und ein Elf. Das passt nicht für eine 19jährige, aber das Thema hatten wir schon mal. Du bist nun einmal nur achteinhalb Jahre bei uns gewesen und ich weiß leider nicht, was Deinem 19jährigen Ich gefallen würde.

Hier zu Hause warten nun der kleine Maulwurf und ein Teddy mit Herzchen darauf, dass sie morgen zum Friedhof gebracht werden, ein bißchen lahm, ich weiß. Aber erinnerst Du Dich an die Geschichte vom kleinen Maulwurf und seiner Hose mit den großen Taschen, die hast Du geliebt - so wie ich als Kind übrigens auch. Neulich haben wir an einer Raststätte eine Dekoecke mit einem riesigen kleinen Maulwurf gesehen. Ich musste das sofort fotografieren und Deiner Schwester schicken. Sie fand es auch so süss und beide haben wir sofort an Dich gedacht. Diese Momente sind pures Glück für mich, weil ich das Gefühl habe, dass ich Dir dann nah sein kann, für einen winzigen Augenblick. Deshalb und vielleicht auch weil es deprimierend ist, dass das große C unser Land wieder fest im Griff hat, habe ich in diesem Jahr schon am Totensonntag die Adventsdekoration herausgeholt. Am Balkon leuchtet eine neue Lichterkette, der Schwibbogen steht am Fenster und natürlich habe ich die Krippe, die Pyramiden und Räuchermänner, die bei uns nicht räuchern dürfen, hingestellt. Ich habe das seit Euren Kindertagen zelebriert, wir haben abends die Pyramidenkerzen angemacht, das Zimmer war dunkel und ihr habt die sich drehenden Figuren bestaunt. Und dann, weißt Du noch Johanna, haben wir oft eine Weihnachts-CD angemacht, Rolf Zuckowski zum Beispiel mit "In der Weihnachtsbäckerei" und ihr habt lauthals mitgesungen und getanzt. Und natürlich durften Petterson und Findus nicht fehlen, der alte Mann und der lustige Kater waren Deine Helden. Die Welt da draußen konnte uns dann egal sein, der Krebs, die Klinik und Therapie waren für einen Moment vergessen. Diese stimmungsvolle Zeit war Balsam für die Seele und das Herz, und ich denke und hoffe, das war auch für Dich so. Genau das wollte ich uns dieses Jahr wieder ins Haus holen und es gelingt mir, zumindest ein bißchen.

Morgen, liebe Johanna, an Deinem 19. Geburtstag wollen wir gemeinsam eines Deiner Lieblingsgerichte kochen, Nudeln mit Lachs und Spinat. Das war immer lecker, stimmts? An der Nordsee hattest Du allerdings einmal so leckeren Fisch - entschuldige, ich korrigiere, Du isst ja keinen Fisch nur Lachs, hihi - dass Dein Gehirn damit offensichtlich überfordert war. Der Krampfanfall, der darauf folgte, war natürlich mit Atemstillstand - im vollbesetzten Restaurant eine nicht ganz einfache Situation, die wir glücklicherweise recht schnell in den Griff bekamen. Wir waren da halt schon geübte Intensivkind-Eltern. Aber danach haben wir immer ein besonderes Auge auf Dich gehabt, wenn es Lachs gab. Trotzdem hast Du ihn wirklich gern gegessen, aber solche Episoden prägen sich halt ein. Ist schon komisch, dass es mir das gerade jetzt wieder einfällt.

Ich hab auch Deine Engel aufgestellt. Du hast nur 8 davon selbst gesehen, denn jedes Weihnachten haben meine Eltern, Deine Großeltern, Dir einen geschenkt. Du solltest an Deinem 18. Geburtstag eine kleine Engelskapelle haben, genau wie Deine Schwester - Deine erste Advents-Ausstattung aus dem Erzgebirge, da hat Dein Opa seine Wurzeln. Morgen wäre Dein 19. Geburtstag und nun habe ich die Kapelle. Es sind nur 17 Engel -  einer ist wohl verloren gegangen beim Umzug in unser neues altes Haus. Das erscheint mir passend, vielleicht ist er ja bei Dir gelandet. Du bist uns jedenfalls nicht verloren gegangen, Du bist immer bei uns, in unseren Gedanken und in unseren Herzen und das wird immer so sein. Happy Birthday Johanna, in Liebe Deine Mama.


Die Zeit, ein Leben und die Erinnerung

August 9, 2021 - Lesezeit: 5 Minuten

Es ist nicht gestern gewesen, aber dass es schon 10 Jahre her ist, kann ich kaum fassen. Die Zeit fliegt dahin, die Erde dreht sich weiter und ich erinnere mich genau, heute vor 10 Jahren wollte ich, dass alles stillsteht, weil das für uns Unfassbare geschehen war. Damals wie heute weiß ich, dass so viele unfassbare Dinge geschehen und das Leben trotzdem ungerührt weitergeht. Mir fällt noch ein, was ich im Jahr darauf gedacht habe: Ich wollte ein Buch schreiben über Dich, Deine Geschichte der Welt erzählen oder zumindest jenen, die sie hören wollen. In 10 Jahren schaffe ich das, habe ich gedacht. Dann kam das Leben, wie immer, und heute gibt es kein Buch sondern nur diesen Blog, der aber ein wichtiger Teil meines Lebens ist. Er hat seinen Platz an diesen besonderen Tagen des Jahres, einer davon ist heute, der Tag, an dem Du zu den Sternen gegangen bist.

Aber wie jedes Jahr soll es bei diesen Zeilen nicht darum gehen, sondern um Dein Leben, Deine Zeit bei uns, die einfach intensiv war. So waren wir vor kurzem in unserem alten Kiez, sind durch den Volkspark Friedrichshain gelaufen, vorbei am Märchenbrunnen, an den Spielplätzen und haben uns erinnert. Wie oft sind wir mit dem Reha-Buggy und später mit dem Rollstuhl mit Dir und Deiner Schwester dort gewesen. Das war schon ein Tagesausflug, denn der Weg von unserer Wohnung an der Prenzlauer Allee war zu Fuß recht weit. Da musste man schon alles dabei haben, zu essen und zu trinken und natürlich auch die Medizintechnik mit im Gepäck. Soweit ich mich erinnere, haben wir das gern bei schönem Sommerwetter gemacht und meist nicht nur einen, sondern beide großen Spielplätze nacheinander besucht und natürlich den Märchenbrunnen. Der war nicht immer mit Wasser gefüllt, aber wenn das Wasserspiel an war, war es besonders schön. Die Spielplätze sehen heute natürlich anders aus, nach 10 Jahren ist das wohl auch nicht überraschend. Trotzdem konnte ich Dich vor mir sehen, wie Du über den Spielplatz läufst in Deiner unnachahmlichen Art zu gehen, immer leicht schwankend. Man dachte, Du fällst gleich, aber das bist Du nicht, zumindest nicht so oft. Ich erinnere mich auch an den Sommer 2010, da hatten wir ein Babyplanschbecken auf dem Balkon aufgestellt. Es gibt sehr lustige Fotos von Dir und Deiner Schwester. Mit einem coolen Seitenzopf und im Bikini - irgendwo muss man ja den Hickman-Katheter verstecken - standest Du mit Mascha unter einem Minisonnenschirm und ihr habt Faxen gemacht. Ich glaube, in diesem Sommer war es zeitweise sehr heiß und Hitze ist Dir nie so gut bekommen, so dass wir nur kurze Ausflüge gemacht haben und sonst lieber drinnen geblieben sind. Aber langweilig war Euch nie. Später im August sind wir dann für eine Woche in das Kinderhospiz Sternenbrücke nach Hamburg gefahren. Da war es schon nicht mehr so heiß, aber trotzdem sehr schön. Wir haben Ausflüge in die Stadt gemacht, uns zum Beispiel die Eisenbahn-Miniaturenwelt angesehen. In der Sternenbrücke gab es natürlich ein gut ausgestattetes Spielzimmer, indem Du viel Zeit verbracht hast. Auch der Gartenbereich mit Wasser- und Matschecke hatte es Dir angetan. Es gab auch einmal Besuch von einem mannsgroßen Teddybären "Bear Emy", vor dem Du - anders als viele andere Kinder - natürlich keine Angst hattest. Vielleicht hast Du es Dir auch nicht anmerken lassen, jedenfalls hast Du mit ihm rumgealbert und -getobt. Es war einfach herrlich zu sehen, wie viel Spass Du hattest. An einem Nachmittag gab es sogar ein Konzert dort. Es spielte ein lokale Band, an ihren Namen erinnere ich mich nicht, aber daran, wie schön es war, mit anderen auf der Wiese zu sitzen und Musik zu hören. Ich weiß gar nicht, ob Deine Schwester sich noch daran erinnern kann, aber das war eigentlich Euer erstes Freiluftkonzert und Du wie immer mittendrin, vorn an der "Bühne" wolltest Du unbedingt mittanzen. 

Es gibt noch etwas Besonderes, was wir aus Hamburg mitgenommen haben. Für uns Eltern gab es einen Kurs bei einem Steinmetz. Dort konnten wir aus Speckstein eine Skulptur herstellen. Das Motiv hat sich jeder selbst überlegt, ich hatte mich für eine Walfischflosse entschieden, bei Micha war es ein Seepferdchen. Wir haben jeweils ein Modell aus Ton geformt, nach dessen Vorbild der Steinmetz den Rohling gefertigt hat. Den Feinschliff haben wir dann wieder selbstgemacht. Seit neuestem haben die Walflosse und das Seepferdchen nun einen neuen Platz im Bad gefunden, doch egal wo in unserem Haus die Skulpturen standen, sie sind untrennbar mit Dir verbunden. Ich denke, dass es die Idee des Kurses war, eine solche Erinnerung zu schaffen und bin immer wieder erstaunt, dass es auch genau so funktioniert, auch heute noch. Man fühlt den Stein und sieht Dich vor sich, in dieser Zeit, holt Dich für einen Moment zurück und hat ein Lächeln auf dem Gesicht.

Es ist ein bißchen so wie mit Deinem Bild, dass Du im Jahr darauf im Kinderhospiz St. Nikolaus im Allgäu gemalt hast. Das hängt bei uns im Wohnzimmer, die Farben so kräftig und leuchtend wie vor 10 Jahren. Auf dem Bild hinter Museumsglas scheint die Zeit stehen geblieben zu sein und ein Blick darauf genügt und Du bist hier bei uns und bleibst - für immer in unserer Erinnerung.


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Ich bin Daniela und habe diesen Block begonnen, um die Chemotherapie unserer Tochter Johanna zu dokumentieren. Dass daraus ein Blog über die Verarbeitung von Trauer über den Verlust des eigenen Kindes werden würde, hab ich nicht vorausgesehen. Hier möchte ich ihre Geschichte erzählen, damit sie nicht vergessen wird. Aber vielleicht kann ich anderen Betroffenen auch ein wenig helfen.