Dieser Sommer ist anders - anders, weil mich Geschichten von Johanna erreichen, ohne dass ich danach gefragt habe. Es beginnt mit Grüßen aus dem Allgäu. Unsere Freunde aus Jena sind mit ihren beiden Mädchen gerade im Kinderhospiz St. Nikolaus. Mit ihnen hatten wir fünf Jahre zuvor genau dort gemeinsam Urlaub gemacht, das erste und leider einzige Mal. Natürlich schicken sie mir ein Foto unserer Findus-Fahne aus dem Erinnerungsgarten. Ich bin erstaunt, wie gut man den Kater noch erkennen kann. Die Sonne und Johanna´s Daten sind inzwischen verblasst. Doch schlimm finde ich das nicht, eher angemessen. Ganz automatisch erinnere ich mich daran, wie ich nahezu fieberhaft diese Fahne genäht habe. Vom Entwurf bis zur Fertigstellung vergingen nur 3 Tage. Natürlich musste es der Kater Findus sein, denn Johanna liebte die Geschichten von Findus und dem alten Petterson. Die fertige Fahne wurde dann an die Pinnwand gehängt als Symbol dafür, dass ihr Besitzer gerade im Haus zu Gast ist. Nach unserer Abfahrt ist sie sicher neben die vielen anderen Fahnen unter die Decke gehangen worden. Ich fand das damals beeindruckend und schön, weil sich die Fahnen wie eine Girlande durchs Haus zogen. Es sah so bunt und fröhlich aus. Weiterlesen
Geburtstage sind immer besonders, gerade beim eigenen Kind. Man schwelgt in Erinnerungen und freut sich auf die Zukunft, das nächste Jahr, den nächsten Schritt. Doch wo keine Zukunft mehr ist, bleibt die Erinnerung, so hell und klar, als wäre es gestern gewesen. Der Tag ihrer Geburt, ein Sonntag und sie hatte es furchtbar eilig, auf diese Welt zu kommen, als wüßte sie, dass ihr nur eine kurze Zeit bleibt. Sie war ein Sternengucker. Das sind ganz besondere Menschen, sagte uns damals die Hebamme. Sie sollte recht behalten. Weiterlesen
Am Samstagmorgen wird Johanna nur schwer wach. Sie erkennt mich zwar, mag sich aber nicht so recht bewegen und noch viel weniger sprechen. Ein paar kurze Antworten auf meine Fragen bekomme ich zwar schon, aber dabei fällt mir sofort auf, dass die Mimik der linken Gesichtshälfte nicht richtig funktioniert. Auch die wenigen sparsamen Bewegungen, die Johanna selbst macht, beschränken sich auf die rechte Körperhälfte. Als ich bei der Visite einen Arzt darauf anspreche, meint dieser ganz trocken, nach zwei so schweren Eingriffen könne das Grosshirn schon mal länger "beleidigt sein". Super, nun auch noch ein beleidigtes Grosshirn, als ob der Tumor nicht reichen würde. Weiterlesen
Jeder Morgen beginnt mit dem Gedanken an Johanna, begleitet mich den ganzen Tag bis ich abends ins Bett falle, meist erst spät in der Nacht. Es fällt mir immer noch schwer einzuschlafen. Zu viel ist anders geworden. Dieser Alltag fühlt sich oft falsch an. So normal. Kein Pflegedienst sitzt nachts in der Küche, das brummende Geräusch des Sauerstoffgerätes fehlt schon lange, so wie das Piepen des Monitors. Als ich anfing zu schreiben, waren unsere Tage ausgefüllt, der Terminplaner quoll über, eine logistische Herausforderung, ein Drahtseilakt. Der tägliche Kampf mit der Erkrankung, das Ringen um ihr Leben, um ihre Chance, trotz allem Kind zu sein, unsere Tochter zu sein und zu bleiben, wie sie war, voller Lebensfreude und schier unerschöpflicher Energie und plötzlich ist alles vorbei. Weiterlesen