Johanna zaubert

August 9, 2019 - Lesezeit: 4 Minuten

Die Zeit vergeht so schnell, schon wieder ist Sommer. Nicht ganz so heiss wie letztes Jahr, es gibt auch mal Regen zwischendrin. Die Blümchen auf Deinem Grab blühen um die Wette, dazwischen leuchtet weiß der Zauberschnee. Die Pflanze habe ich erst dieses Jahr entdeckt und fand den Namen so lustig. Ich musste gleich daran denken, dass wir Dir an Deinem 8. Geburtstag eine Kochschürze geschenkt hatten, mit der Aufschrift "Johanna zaubert". Das passt, dachte ich, besonders die Blüten, so klein und zart und doch so kraftvoll. Auch der Klee ist wieder da und füllt die wenigen Lücken in der Erde, wie eine Decke breitet er sich aus. Ich kann es mir nicht erklären, aber es zaubert ein Lächeln in mein Gesicht.

Auf der Suche nach einem Foto von Dir durchstöbere ich den Laptop, wie immer zu dieser Zeit, denn so wie die bunten Blumen, die wir immer neu pflanzen, gehört auch das dazu. Wir tauschen Dein Bild regelmäßig aus, denn Wind und Wetter fordern ihren Tribut, auch wenn es im Rahmen eine Weile geschützt ist. Diesmal entscheide ich mich für einen Schnappschuss aus dem Kinderhospiz St. Nikolaus, aus unserem letzten Urlaub mit Dir. Du stehst vor der Pinnwand im Hospiz, an der Deine Findus-Fahne hängt, die ich gerade fertiggenäht hatte. Eigentlich mochtest Du keine "gestellten" Fotos, aber hier hast Du mitgespielt und lachst verschmitzt in die Kamera. Überhaupt gibt es so viele lustige Fotos von Dir aus diesem Urlaub. Auch auf dem Familienbild bei unserer Ankunft schaust Du fröhlich in die Kamera. Es waren ein paar mehr Aufnahmen nötig, weil wir rumgealbert haben. Nur einen Mausklick weiter starte ich ein Video aus dem Trampolin Zimmer: Papa hält Dich unter den Armen fest und dann hüpft ihr beide auf und ab. Dein Lachen erfüllt den Raum und steckt uns an, im Hintergrund lachen Mascha und ich mit. Die Erinnerung führt mich zurück in jene Zeit, die wir zumindest in der ersten Woche unbeschwert genießen konnten, zurück zu unserem Ausflug in den Schongauer Märchenwald, wo Du hoch zu Ross geritten bist. Man sieht Dir den Stolz förmlich an, als Du allein und selbstständig auf dem Pony sitzt, dass angeleint durch den Park geführt wird. Ich kann das Glück fast mit den Händen greifen, dass wir alle, glaube ich, damals empfunden haben. Die Krankheit war (fast) vergessen, die Therapie weit weg. Wir wollten einfach Urlaub machen, ein paar Ausflüge in die Natur, die wunderschönen Berge erleben, vielleicht auch ein bisschen Abenteuer und Action für die Kinder, all das, was für andere Familien ganz normal ist. Und wir haben wirklich viel erlebt, Du bist sogar Traktor gefahren, so einen coolen roten, erinnerst Du Dich? Das Lenkrad fest in der Hand und hochkonzentriert, rechts neben Dir der Therapeut, der nur "ein bisschen" mitgeholfen hat und hinter Dir ein paar Kinder als Fahrgäste. So ging es holprig übers Feld, das hat Spass gemacht. Dieser Ausflug zum Erlebnisbauernhof war wirklich etwas ganz Besonderes. Sie hatten dort auch gerade ganz junge Kätzchen. Ich habe noch genau vor Augen, wie behutsam Du die kleine Katze gestreichelt hast, die auf Deinem Schoß sass. Mascha war aus dem Katzenzimmer kaum mehr rauszubekommen, weil ein Kätzchen bei ihr eingeschlafen war.

Und es gibt noch etwas, was einmalig war, Du konntest endlich schwimmen gehen. Das kurze Video zeigt Dich entspannt im Wasser, der Therapeut zieht Dich mit langsamen Bewegungen durch das Becken, sorgfältig darauf bedacht, dass Dein Hals mit der Kanüle nicht das Wasser berührt und Du kommentierst das alles mit einem lauten "Hui, hui" und versuchst genau zu spüren, was die Strömung mit Deinem Körper macht. Wie sehr Dich das beeindruckt hat, sieht man heute noch an dem Bild, dass Du anschließend gemalt hast. Es hängt bei uns im Wohnzimmer und zeigt Dich selbst mitten im Wasser, mit Deinen langen roten Haaren - obwohl sie in Wirklichkeit ja nicht ganz so rot waren. Geschützt in einem Rahmen hinter Museumsglas sieht das Bild noch genauso aus wie vor 8 Jahren, ein bisschen wie aus der Zeit gefallen, die Farben strahlen unverändert und das zaubert ein Lächeln in mein Gesicht. Genau das wünsche ich mir für diesen Tag, dass Johanna nochmal zaubert – und zwar ein Lächeln auf die Gesichter von jenen, die sie gekannt und geliebt haben, in Erinnerung an Johanna.

About

Ich bin Daniela und habe diesen Block begonnen, um die Chemotherapie unserer Tochter Johanna zu dokumentieren. Dass daraus ein Blog über die Verarbeitung von Trauer über den Verlust des eigenen Kindes werden würde, hab ich nicht vorausgesehen. Hier möchte ich ihre Geschichte erzählen, damit sie nicht vergessen wird. Aber vielleicht kann ich anderen Betroffenen auch ein wenig helfen.