Der Abend vor Deinem Geburtstag und meine Gedanken kreisen um Dich, wie immer in dieser Zeit. Die letzten Tage waren grau und trübe, selbst am Totensonntag konnte man kaum die Sonne sehen. Der Friedhof aber war voller Menschen, die an ihre Liebsten gedacht haben. Das fand ich schön, und Mascha auch. Auch Dein Grab war wie immer bunt mit Heide bepflanzt und dazu die vielen kleinen Figuren, die wir Dir immer wieder bringen. Am Sonntag ist der Elefant von der Sendung mit Maus dazugekommen und ein Elf. Das passt nicht für eine 19jährige, aber das Thema hatten wir schon mal. Du bist nun einmal nur achteinhalb Jahre bei uns gewesen und ich weiß leider nicht, was Deinem 19jährigen Ich gefallen würde.
Hier zu Hause warten nun der kleine Maulwurf und ein Teddy mit Herzchen darauf, dass sie morgen zum Friedhof gebracht werden, ein bißchen lahm, ich weiß. Aber erinnerst Du Dich an die Geschichte vom kleinen Maulwurf und seiner Hose mit den großen Taschen, die hast Du geliebt - so wie ich als Kind übrigens auch. Neulich haben wir an einer Raststätte eine Dekoecke mit einem riesigen kleinen Maulwurf gesehen. Ich musste das sofort fotografieren und Deiner Schwester schicken. Sie fand es auch so süss und beide haben wir sofort an Dich gedacht. Diese Momente sind pures Glück für mich, weil ich das Gefühl habe, dass ich Dir dann nah sein kann, für einen winzigen Augenblick. Deshalb und vielleicht auch weil es deprimierend ist, dass das große C unser Land wieder fest im Griff hat, habe ich in diesem Jahr schon am Totensonntag die Adventsdekoration herausgeholt. Am Balkon leuchtet eine neue Lichterkette, der Schwibbogen steht am Fenster und natürlich habe ich die Krippe, die Pyramiden und Räuchermänner, die bei uns nicht räuchern dürfen, hingestellt. Ich habe das seit Euren Kindertagen zelebriert, wir haben abends die Pyramidenkerzen angemacht, das Zimmer war dunkel und ihr habt die sich drehenden Figuren bestaunt. Und dann, weißt Du noch Johanna, haben wir oft eine Weihnachts-CD angemacht, Rolf Zuckowski zum Beispiel mit "In der Weihnachtsbäckerei" und ihr habt lauthals mitgesungen und getanzt. Und natürlich durften Petterson und Findus nicht fehlen, der alte Mann und der lustige Kater waren Deine Helden. Die Welt da draußen konnte uns dann egal sein, der Krebs, die Klinik und Therapie waren für einen Moment vergessen. Diese stimmungsvolle Zeit war Balsam für die Seele und das Herz, und ich denke und hoffe, das war auch für Dich so. Genau das wollte ich uns dieses Jahr wieder ins Haus holen und es gelingt mir, zumindest ein bißchen.
Morgen, liebe Johanna, an Deinem 19. Geburtstag wollen wir gemeinsam eines Deiner Lieblingsgerichte kochen, Nudeln mit Lachs und Spinat. Das war immer lecker, stimmts? An der Nordsee hattest Du allerdings einmal so leckeren Fisch - entschuldige, ich korrigiere, Du isst ja keinen Fisch nur Lachs, hihi - dass Dein Gehirn damit offensichtlich überfordert war. Der Krampfanfall, der darauf folgte, war natürlich mit Atemstillstand - im vollbesetzten Restaurant eine nicht ganz einfache Situation, die wir glücklicherweise recht schnell in den Griff bekamen. Wir waren da halt schon geübte Intensivkind-Eltern. Aber danach haben wir immer ein besonderes Auge auf Dich gehabt, wenn es Lachs gab. Trotzdem hast Du ihn wirklich gern gegessen, aber solche Episoden prägen sich halt ein. Ist schon komisch, dass es mir das gerade jetzt wieder einfällt.
Ich hab auch Deine Engel aufgestellt. Du hast nur 8 davon selbst gesehen, denn jedes Weihnachten haben meine Eltern, Deine Großeltern, Dir einen geschenkt. Du solltest an Deinem 18. Geburtstag eine kleine Engelskapelle haben, genau wie Deine Schwester - Deine erste Advents-Ausstattung aus dem Erzgebirge, da hat Dein Opa seine Wurzeln. Morgen wäre Dein 19. Geburtstag und nun habe ich die Kapelle. Es sind nur 17 Engel - einer ist wohl verloren gegangen beim Umzug in unser neues altes Haus. Das erscheint mir passend, vielleicht ist er ja bei Dir gelandet. Du bist uns jedenfalls nicht verloren gegangen, Du bist immer bei uns, in unseren Gedanken und in unseren Herzen und das wird immer so sein. Happy Birthday Johanna, in Liebe Deine Mama.
Es ist nicht gestern gewesen, aber dass es schon 10 Jahre her ist, kann ich kaum fassen. Die Zeit fliegt dahin, die Erde dreht sich weiter und ich erinnere mich genau, heute vor 10 Jahren wollte ich, dass alles stillsteht, weil das für uns Unfassbare geschehen war. Damals wie heute weiß ich, dass so viele unfassbare Dinge geschehen und das Leben trotzdem ungerührt weitergeht. Mir fällt noch ein, was ich im Jahr darauf gedacht habe: Ich wollte ein Buch schreiben über Dich, Deine Geschichte der Welt erzählen oder zumindest jenen, die sie hören wollen. In 10 Jahren schaffe ich das, habe ich gedacht. Dann kam das Leben, wie immer, und heute gibt es kein Buch sondern nur diesen Blog, der aber ein wichtiger Teil meines Lebens ist. Er hat seinen Platz an diesen besonderen Tagen des Jahres, einer davon ist heute, der Tag, an dem Du zu den Sternen gegangen bist.
Aber wie jedes Jahr soll es bei diesen Zeilen nicht darum gehen, sondern um Dein Leben, Deine Zeit bei uns, die einfach intensiv war. So waren wir vor kurzem in unserem alten Kiez, sind durch den Volkspark Friedrichshain gelaufen, vorbei am Märchenbrunnen, an den Spielplätzen und haben uns erinnert. Wie oft sind wir mit dem Reha-Buggy und später mit dem Rollstuhl mit Dir und Deiner Schwester dort gewesen. Das war schon ein Tagesausflug, denn der Weg von unserer Wohnung an der Prenzlauer Allee war zu Fuß recht weit. Da musste man schon alles dabei haben, zu essen und zu trinken und natürlich auch die Medizintechnik mit im Gepäck. Soweit ich mich erinnere, haben wir das gern bei schönem Sommerwetter gemacht und meist nicht nur einen, sondern beide großen Spielplätze nacheinander besucht und natürlich den Märchenbrunnen. Der war nicht immer mit Wasser gefüllt, aber wenn das Wasserspiel an war, war es besonders schön. Die Spielplätze sehen heute natürlich anders aus, nach 10 Jahren ist das wohl auch nicht überraschend. Trotzdem konnte ich Dich vor mir sehen, wie Du über den Spielplatz läufst in Deiner unnachahmlichen Art zu gehen, immer leicht schwankend. Man dachte, Du fällst gleich, aber das bist Du nicht, zumindest nicht so oft. Ich erinnere mich auch an den Sommer 2010, da hatten wir ein Babyplanschbecken auf dem Balkon aufgestellt. Es gibt sehr lustige Fotos von Dir und Deiner Schwester. Mit einem coolen Seitenzopf und im Bikini - irgendwo muss man ja den Hickman-Katheter verstecken - standest Du mit Mascha unter einem Minisonnenschirm und ihr habt Faxen gemacht. Ich glaube, in diesem Sommer war es zeitweise sehr heiß und Hitze ist Dir nie so gut bekommen, so dass wir nur kurze Ausflüge gemacht haben und sonst lieber drinnen geblieben sind. Aber langweilig war Euch nie. Später im August sind wir dann für eine Woche in das Kinderhospiz Sternenbrücke nach Hamburg gefahren. Da war es schon nicht mehr so heiß, aber trotzdem sehr schön. Wir haben Ausflüge in die Stadt gemacht, uns zum Beispiel die Eisenbahn-Miniaturenwelt angesehen. In der Sternenbrücke gab es natürlich ein gut ausgestattetes Spielzimmer, indem Du viel Zeit verbracht hast. Auch der Gartenbereich mit Wasser- und Matschecke hatte es Dir angetan. Es gab auch einmal Besuch von einem mannsgroßen Teddybären "Bear Emy", vor dem Du - anders als viele andere Kinder - natürlich keine Angst hattest. Vielleicht hast Du es Dir auch nicht anmerken lassen, jedenfalls hast Du mit ihm rumgealbert und -getobt. Es war einfach herrlich zu sehen, wie viel Spass Du hattest. An einem Nachmittag gab es sogar ein Konzert dort. Es spielte ein lokale Band, an ihren Namen erinnere ich mich nicht, aber daran, wie schön es war, mit anderen auf der Wiese zu sitzen und Musik zu hören. Ich weiß gar nicht, ob Deine Schwester sich noch daran erinnern kann, aber das war eigentlich Euer erstes Freiluftkonzert und Du wie immer mittendrin, vorn an der "Bühne" wolltest Du unbedingt mittanzen.
Es gibt noch etwas Besonderes, was wir aus Hamburg mitgenommen haben. Für uns Eltern gab es einen Kurs bei einem Steinmetz. Dort konnten wir aus Speckstein eine Skulptur herstellen. Das Motiv hat sich jeder selbst überlegt, ich hatte mich für eine Walfischflosse entschieden, bei Micha war es ein Seepferdchen. Wir haben jeweils ein Modell aus Ton geformt, nach dessen Vorbild der Steinmetz den Rohling gefertigt hat. Den Feinschliff haben wir dann wieder selbstgemacht. Seit neuestem haben die Walflosse und das Seepferdchen nun einen neuen Platz im Bad gefunden, doch egal wo in unserem Haus die Skulpturen standen, sie sind untrennbar mit Dir verbunden. Ich denke, dass es die Idee des Kurses war, eine solche Erinnerung zu schaffen und bin immer wieder erstaunt, dass es auch genau so funktioniert, auch heute noch. Man fühlt den Stein und sieht Dich vor sich, in dieser Zeit, holt Dich für einen Moment zurück und hat ein Lächeln auf dem Gesicht.
Es ist ein bißchen so wie mit Deinem Bild, dass Du im Jahr darauf im Kinderhospiz St. Nikolaus im Allgäu gemalt hast. Das hängt bei uns im Wohnzimmer, die Farben so kräftig und leuchtend wie vor 10 Jahren. Auf dem Bild hinter Museumsglas scheint die Zeit stehen geblieben zu sein und ein Blick darauf genügt und Du bist hier bei uns und bleibst - für immer in unserer Erinnerung.
Wie schon im Sommer fällt es mir schwer zur Ruhe zu kommen, mitten in einer Pandemie. Die hitzigen Diskussionen, verrückte Menschen auf den Straßen, die einfach behaupten, Corona gibt es nicht, nur um keine Maske tragen zu müssen. Neben dem Unverständnis dafür kommt mir der Gedanke, was wäre, wenn Du noch bei uns wärst? Du wärst 18 Jahre alt, ein junger Mensch, gehörtest zur Risikogruppe zweifellos, na und? Wir haben Freunde mit einer Tochter, Linn ist tracheotomiert so wie Du, schwerbehindert und inzwischen beatmet. Doch sie ist eben vor allem eins, ihre Tochter, die sie lieben. Sie hat auch eine Schwester, so wie Du, die Linn auch liebt und vermissen würde. Wer will schon mutwillig ein Familienmitglied verlieren und dabei ist egal, wie alt oder krank der geliebte Mensch ist. Covid19 ist eine Gefahr, die für diese Familie unkalkulierbar ist und doch müssen sie damit leben, während andere von Liebe und Freiheit faseln, ohne Maske und Abstand.
Genauso würde es uns gehen, wenn Du noch bei uns wärst. Wenn Maske tragen und Hände waschen, die Lösung gegen den Krebs gewesen wäre, wir hätten das selbstverständlich getan, wenn auch nur die geringste Chance bestanden hätte, Dich zu retten. Und hier ist der wesentlich Unterschied, ich weiß genau, man kann den Tod nicht unbedingt aufhalten, aber ihn billigend in Kauf nehmen? Deshalb bin ich oft so wütend, wenn ich höre, es sterben ja eh nur die Alten und Vorerkrankten, denn damit meinen sie auch Dich und Linn, die Tochter von unseren Freunden. So nun ist es raus, das musste sein. Nun will ich über etwas anderes nachdenken, Deinen Geburtstag. Morgen wirst Du 18 Jahre alt. Ich habe - diesmal mit Mascha - überlegt, was Dich heute interessieren würde, welche Musik Du hören würdest, welche Bücher Du liest. Wir waren uns einig, dass Du Dich für Politik interessiert hättest, bei allem anderen wird es schon schwieriger. Mascha hat dann sehr treffend bemerkt, dass Du nun einmal mit 8 Jahren gestorben bist. Sie findet es nicht schlimm, wenn man Dir Dinge kauft, die Dir als Kind gefallen haben. Das beruhigt mich, denn ganz ehrlich, ich wünsche mir zwar, dass Dir dieselben Sachen gefallen wie uns, aber wissen kann ich das nicht.
Wir waren schon an Deinem Grab am Totensonntag. Es sieht schön bunt aus, Oma und Opa haben Heide in bunten Farben gepflanzt. Dazwischen findet sich der Kater Findus, der kleine Maulwurf und jede Menge Engel und Elfen - so recht weiß ich nicht, ob Du dich jemals für Engel begeistert hast. Eigentlich glaub ich, Du mochtest eher Hexen - das sollte ich mir merken, aber ob es davon überhaupt niedliche Figuren gibt? Wer will schon eine häßliche Hexe auf dem Grab? Irgendwie vermehren sich die Engel von selbst, vielleicht weil man unwillkürlich denkt, dass Du nun auch ein Engel bist. Aber auch ein Mini-Olchi steht noch immer dort. Diese kleinen Kobolde hast Du ganz zum Schluss kennengelernt. Oma hatte Dir ein Buch ins Krankenhaus gebracht und es Dir vorgelesen. Es hat so gut getan, Dich kichern zu hören. Als ich nun losging, um noch ein Geschenk für Dich zu besorgen, hab ich einen kleinen Eisbären entdeckt und dachte sofort an Lars, der Eisbär. Diese Geschichten hast Du geliebt, als Du noch ganz klein warst. An dem Tag, an dem man den Tumor fand, bist Du nach der Narkose aufgewacht und hast gesagt "Lars Eisbär". Das war knapp einen Monat vor Deinem zweiten Geburtstag. Ich erinnere mich ganz genau daran, fast kann ich Deine flüsternde Stimme hören. Am nächsten Tag war die Tumor-Operation und danach war alles anders. Es hat zwei Monate gedauert, bis wir uns sicher waren, Du kommst zu uns zurück. In dieser Zeit habe ich - neben vielen anderen Kassetten - sehr oft Lars Eisbär für Dich angestellt. Also nimms mir nicht übel, Johchen, wenn wir Dir zu Deinem Geburtstag einen kleinen Eisbären schenken. Eine Schneemannfigur habe ich Dir auch gekauft, erstaunlich kuschlig, sie glitzert sogar, sieht ein bisschen nach "Mädchen" aus. Mein gedankenvoller Kopf fragt sich schon wieder, ob Du das gut oder auch ein bisschen schräg findest. Wie schon gesagt, ich weiß es nicht, kann es nicht wissen, leider.
Morgen wollen wir wieder backen, Lebkuchen. Das haben wir schon mal gemacht, erinnerst Du Dich? Mal schauen, welche Figuren sich Deine Schwester diesmal überlegt hat. Beim letzten Mal waren es der Elefant und die Maus, diese Sendung mochtest Du auch sehr. Lass Dich überraschen. Ich hoffe, Du siehst es durchs Küchenfenster, und für uns bist Du sowieso dabei, immer. Happy Birthday, Johanna.
Es ist drückend heiß in diesen Tagen. Die letzten Wochen haben mir kaum Zeit zum Nachdenken gelassen. Vor allem natürlich wegen Corona, das geht nicht spurlos an uns vorbei. Der Alltag ist anders geworden, Maske tragen, Hände desinfizieren oder zumindest sehr viel häufiger waschen, alles Dinge, die man sonst nur aus dem Klinikalltag kennt. Das ist die neue Normalität für jeden von uns. Deine Uroma ist 90 Jahre alt geworden dieses Frühjahr. Wir konnten sie nicht besuchen und mit ihr feiern. Das war traurig, aber eben leider nötig, um sie vor Ansteckung zu schützen. Da blieb uns nur Briefe und Geschenke per Post zu senden. Das haben wir alle fleißig getan und so hatte sie doch noch einen schönen Tag, denn in Gedanken waren wir bei ihr.
Der Sturz eines Familienmitglieds mit anschließendem Krankenhausaufenthalt hat uns dann in Atem gehalten. Inzwischen ist unser Mehrgenerationenhaus wieder vollständig, auch wenn noch nicht alles gut ist. So ist fast unbemerkt der August angebrochen und morgen ist Dein Tag. Natürlich habe ich an Dich gedacht, aber die Worte, die ich Dir jedes Jahr schreibe, wollten nicht fließen - bis zu diesem Moment. Da fand sich die Werbung eines großen schwedischen Möbelhauses in unserem Briefkasten mit einem Spruch, der uns alle zum Lachen brachte. Ein kleines Mädchen ist zu sehen mit einem Lockenkopf, den Mund weit aufgerissen versucht sie, eine Zimtschnecke hineinzustecken. Darüber steht die Frage: "Welffe Fimtfnecken?". Das hätte Dir gefallen, oh ja Du hast Wortspiele geliebt. Sofort fällt mir auch das Buch ein, das wir im Allgäu im letzten Urlaub im Hospiz gefunden und zusammen mit Dir gelesen haben. Ein Elefant hat sich nach einem Sturz den Rüssel verbogen. Auf der Suche nach Hilfe hört er sich nun sehr merkwürdig an, wenn er spricht: "Ich bin gepflolpert und hingeflogen und hab den Rüffel mir verbogen. Defwegen komme ich fu dir. Kamfu vielleicht helfen mir?". Wir haben Tränen gelacht, als wir das Buch mit Dir das erste Mal gelesen haben. Du wolltest es auch danach immer wieder mit uns anschauen. Noch heute steht es bei uns im Bücherregal, wir haben es aufgehoben. Ich erinnere mich auch an ein Buch - als Du noch jünger warst - mit schrägen Geschichten über Bauernhoftiere. Da war ein Bauer, dessen Hühner eckige Eier legten und ein anderer hatte ein Kuh, die Waldmeisterbrause gab und viele verrückte Dinge mehr. Deine Vorliebe für ungewöhnliche Geschichten war schon bemerkenswert, aber auch verständlich, denn Dein Leben war außergewöhnlich. Bücher waren wichtig für Dich. Sie waren Dein Zufluchtsort, Deine Möglichkeit sich auszuklinken aus Deinem Alltag, den häufigen Klinikaufenthalten und langwierigen Behandlungen. Das hat Dir Kraft gegeben und uns auch. Es ist erstaunlich, dass ich beim Gedanken an das Buch "Warum fragt der kleine Bär" sofort lächeln muss. Ich habe das Gefühl, dass ich Deine Bibliothek auswendig kenne, was sicher unrealistisch ist. Aber jedes Buch, das mir einfällt, ist eine schöne Erinnerung an Dich. Es sind die Momente, in denen Du ganz Kind sein konntest und alles andere vergessen hast. Es sind die Momente, die ich gern zurückholen möchte - an einem Tag wie heute. Noch einmal mit Dir "Peterson und Findus" lesen oder die Geschichten aus der "Sternenschaukel", die mochte auch Deine Schwester so gern. Ich weiß, dass das nicht geht, aber weißt Du was: Morgen hole ich "Kamfu mir helfen" raus und lese es noch einmal. Hörst Du mir dann zu, Johanna?
In Liebe, Deine Mama
Die Tage sind zu mild für November, aber nass und neblig. Das passt zu meiner Stimmung. Ein Blick auf das Wetterradar zeigt, morgen wird die Sonne scheinen, das wiederum freut mich. Ich möchte, dass die Sonne scheint – nur für Dich. Ich schreibe Dir nun schon so viele Jahre, nenn es Glaube oder Liebe, mit Kirche und Gott hat das nur wenig zu tun, eher mit festhalten und nicht vergessen wollen. Wenn ich so darüber nachdenke, ist es schlicht meine Art damit zu leben, dass Du nicht mehr bei uns bist. Da fällt mir eine Geschichte ein, die ein Mädchen kurz nach Deinem Tod seiner Mutter erzählt hat. Die Tochter von Freunden, Lena, hat auf ihre Art versucht zu verstehen, dass Du so jung zu den Sternen gegangen bist. Ich versuche mich zu erinnern, es ist nicht leicht, weil schon so lange her.
Die Zeit vergeht so schnell, schon wieder ist Sommer. Nicht ganz so heiss wie letztes Jahr, es gibt auch mal Regen zwischendrin. Die Blümchen auf Deinem Grab blühen um die Wette, dazwischen leuchtet weiß der Zauberschnee. Die Pflanze habe ich erst dieses Jahr entdeckt und fand den Namen so lustig. Ich musste gleich daran denken, dass wir Dir an Deinem 8. Geburtstag eine Kochschürze geschenkt hatten, mit der Aufschrift "Johanna zaubert". Das passt, dachte ich, besonders die Blüten, so klein und zart und doch so kraftvoll. Auch der Klee ist wieder da und füllt die wenigen Lücken in der Erde, wie eine Decke breitet er sich aus. Ich kann es mir nicht erklären, aber es zaubert ein Lächeln in mein Gesicht.