Und heute sind es 9 Jahre

August 8, 2020 - Lesezeit: 3 Minuten

Es ist drückend heiß in diesen Tagen. Die letzten Wochen haben mir kaum Zeit zum Nachdenken gelassen. Vor allem natürlich wegen Corona, das geht nicht spurlos an uns vorbei. Der Alltag ist anders geworden, Maske tragen, Hände desinfizieren oder zumindest sehr viel häufiger waschen, alles Dinge, die man sonst nur aus dem Klinikalltag kennt. Das ist die neue Normalität für jeden von uns. Deine Uroma ist 90 Jahre alt geworden dieses Frühjahr. Wir konnten sie nicht besuchen und mit ihr feiern. Das war traurig, aber eben leider nötig, um sie vor Ansteckung zu schützen. Da blieb uns nur Briefe und Geschenke per Post zu senden. Das haben wir alle fleißig getan und so hatte sie doch noch einen schönen Tag, denn in Gedanken waren wir bei ihr.

Der Sturz eines Familienmitglieds mit anschließendem Krankenhausaufenthalt hat uns dann in Atem gehalten. Inzwischen ist unser Mehrgenerationenhaus wieder vollständig, auch wenn noch nicht alles gut ist. So ist fast unbemerkt der August angebrochen und morgen ist Dein Tag. Natürlich habe ich an Dich gedacht, aber die Worte, die ich Dir jedes Jahr schreibe, wollten nicht fließen - bis zu diesem Moment. Da fand sich die Werbung eines großen schwedischen Möbelhauses in unserem Briefkasten mit einem Spruch, der uns alle zum Lachen brachte. Ein kleines Mädchen ist zu sehen mit einem Lockenkopf, den Mund weit aufgerissen versucht sie, eine Zimtschnecke hineinzustecken. Darüber steht die Frage: "Welffe Fimtfnecken?". Das hätte Dir gefallen, oh ja Du hast Wortspiele geliebt. Sofort fällt mir auch das Buch ein, das wir im Allgäu im letzten Urlaub im Hospiz gefunden und zusammen mit Dir gelesen haben. Ein Elefant hat sich nach einem Sturz den Rüssel verbogen. Auf der Suche nach Hilfe hört er sich nun sehr merkwürdig an, wenn er spricht: "Ich bin gepflolpert und hingeflogen und hab den Rüffel mir verbogen. Defwegen komme ich fu dir. Kamfu vielleicht helfen mir?". Wir haben Tränen gelacht, als wir das Buch mit Dir das erste Mal gelesen haben. Du wolltest es auch danach immer wieder mit uns anschauen. Noch heute steht es bei uns im Bücherregal, wir haben es aufgehoben. Ich erinnere mich auch an ein Buch - als Du noch jünger warst - mit schrägen Geschichten über Bauernhoftiere. Da war ein Bauer, dessen Hühner eckige Eier legten und ein anderer hatte ein Kuh, die Waldmeisterbrause gab und viele verrückte Dinge mehr. Deine Vorliebe für ungewöhnliche Geschichten war schon bemerkenswert, aber auch verständlich, denn Dein Leben war außergewöhnlich. Bücher waren wichtig für Dich. Sie waren Dein Zufluchtsort, Deine Möglichkeit sich auszuklinken aus Deinem Alltag, den häufigen Klinikaufenthalten und langwierigen Behandlungen. Das hat Dir Kraft gegeben und uns auch. Es ist erstaunlich, dass ich beim Gedanken an das Buch "Warum fragt der kleine Bär" sofort lächeln muss. Ich habe das Gefühl, dass ich Deine Bibliothek auswendig kenne, was sicher unrealistisch ist. Aber jedes Buch, das mir einfällt, ist eine schöne Erinnerung an Dich. Es sind die Momente, in denen Du ganz Kind sein konntest und alles andere vergessen hast. Es sind die Momente, die ich gern zurückholen möchte - an einem Tag wie heute. Noch einmal mit Dir "Peterson und Findus" lesen oder die Geschichten aus der "Sternenschaukel", die mochte auch Deine Schwester so gern. Ich weiß, dass das nicht geht, aber weißt Du was: Morgen hole ich "Kamfu mir helfen" raus und lese es noch einmal. Hörst Du mir dann zu, Johanna?

In Liebe, Deine Mama


Johanna zaubert

August 9, 2019 - Lesezeit: 4 Minuten

Die Zeit vergeht so schnell, schon wieder ist Sommer. Nicht ganz so heiss wie letztes Jahr, es gibt auch mal Regen zwischendrin. Die Blümchen auf Deinem Grab blühen um die Wette, dazwischen leuchtet weiß der Zauberschnee. Die Pflanze habe ich erst dieses Jahr entdeckt und fand den Namen so lustig. Ich musste gleich daran denken, dass wir Dir an Deinem 8. Geburtstag eine Kochschürze geschenkt hatten, mit der Aufschrift "Johanna zaubert". Das passt, dachte ich, besonders die Blüten, so klein und zart und doch so kraftvoll. Auch der Klee ist wieder da und füllt die wenigen Lücken in der Erde, wie eine Decke breitet er sich aus. Ich kann es mir nicht erklären, aber es zaubert ein Lächeln in mein Gesicht.

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Sweet Sixteen

November 24, 2018 - Lesezeit: 5 Minuten

Wieder ein Geburtstag ohne Dich, der Achte inzwischen. Nun bist Du fast genauso lange fort, wie Du bei uns gelebt hast. Ich hab nachgerechnet: 8 Jahre 8 Monate und ein paar Tage - 16 um genau zu sein. So alt bist Du gewesen an diesem 9. August 2011. Deiner Schwester hatte ich zum 16ten ein kleines Album geschenkt mit 16 Porträtaufnahmen – für jedes Lebensjahr eine. Ich weiß noch genau, wie gerührt ich war, sie so noch einmal zu sehen. Angefangen mit dem winzigen Babygesicht bis hin zu dem hübschen jungen Teenager. Die Veränderung war beeindruckend und doch schaute aus jedem Bild unverkennbar Mascha heraus. Heute ist sie 19, also erwachsen, etwas, was für Dich nie möglich erschien und doch haben wir uns nichts mehr gewünscht. Ich habe in den letzten Jahren oft versucht, mir Dich vorzustellen und es fällt mir von Jahr zu Jahr schwerer. Wenn ich Deinen Vater ansehe, denke ich oft, Du könntest ihm noch ähnlicher sein als damals, vielleicht nicht ganz so groß, doch mit langen Beinen – und natürlich ohne Bart, aber mit langen rotblonden Locken. Zumindest die störrischen Haare hattest Du ja von mir. Ab hier fängt es an schwierig zu werden und es schmerzt, nachzudenken über etwas, das man nicht haben kann, nie haben wird.

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Und noch einmal die verflixte Sieben

August 9, 2018 - Lesezeit: 7 Minuten

Es ist ein sehr heißer Sommer, Berlin ächzt unter der Hitze und auf Johanna´s Grab wächst Klee. Mit ganz kleinen Pflänzchen hat es angefangen und ich hab sie stehen lassen. Es erschien mir irgendwie passend. Nun breitet sich der Klee wie ein schützender Teppich zwischen den bunten Blümchen aus, die wir gepflanzt haben. Ein Lächeln auf dem Gesicht denke ich mir, das wird ihr gefallen, ich seh sie vor mir, auf einer Blumenwiese hält sie die Hände schützend über ein Gänseblümchen und freut sich: „Guck mal, so ein schönes Blümchen“. Wie behutsam sie manchmal über die Wiese ging, denn sie wollte kein Blümchen zertreten und keinen Käfer verletzen. Das war natürlich nicht immer so, aber doch so oft, dass es mir in Erinnerung geblieben ist. Weiterlesen


Ein Geburtstagsbrief für Johanna

November 23, 2016 - Lesezeit: 4 Minuten

Liebe Johanna,

Wieder ein Geburtstag ohne Dich, Dein Vierzehnter. So sehr ich mich auch bemühe, diesmal fällt es schwer, mir vorzustellen, wie Du jetzt aussehen würdest. Gross und kräftig vielleicht, ein wenig schlaksig, weil Du - im Gegensatz zu den anderen Frauen in dieser Familie - die magische Marke von 1,60 m überschritten hast, und mit langen rotblonden Haaren natürlich, die sich noch immer nur schwer bändigen lassen. Würdest Du laufen oder im Rollstuhl sitzen? Selbst wenn der Sommer vor 5 Jahren anders verlaufen wäre und Du bei uns geblieben wärst, Deine Erkrankung hätte Dich begleitet. Unser Onkologe erzählte uns damals - bevor alles aus dem Ruder lief - von einem neuen Medikament in der Testphase, das die Wachstumssignale des Tumors vielleicht blockieren könnte. Damit hättest Du vielleicht leben können. Weiterlesen


Die Geschichte von einem Ball, einem Pinguin und einem kleinen Kater

August 8, 2016 - Lesezeit: 6 Minuten

Dieser Sommer ist anders - anders, weil mich Geschichten von Johanna erreichen, ohne dass ich danach gefragt habe. Es beginnt mit Grüßen aus dem Allgäu. Unsere Freunde aus Jena sind mit ihren beiden Mädchen gerade im Kinderhospiz St. Nikolaus. Mit ihnen hatten wir fünf Jahre zuvor genau dort gemeinsam Urlaub gemacht, das erste und leider einzige Mal. Natürlich schicken sie mir ein Foto unserer Findus-Fahne aus dem Erinnerungsgarten. Ich bin erstaunt, wie gut man den Kater noch erkennen kann. Die Sonne und Johanna´s Daten sind inzwischen verblasst. Doch schlimm finde ich das nicht, eher angemessen. Ganz automatisch erinnere ich mich daran, wie ich nahezu fieberhaft diese Fahne genäht habe. Vom Entwurf bis zur Fertigstellung vergingen nur 3 Tage. Natürlich musste es der Kater Findus sein, denn Johanna liebte die Geschichten von Findus und dem alten Petterson. Die fertige Fahne wurde dann an die Pinnwand gehängt als Symbol dafür, dass ihr Besitzer gerade im Haus zu Gast ist. Nach unserer Abfahrt ist sie sicher neben die vielen anderen Fahnen unter die Decke gehangen worden. Ich fand das damals beeindruckend und schön, weil sich die Fahnen wie eine Girlande durchs Haus zogen. Es sah so bunt und fröhlich aus. Weiterlesen


About

Ich bin Daniela und habe diesen Block begonnen, um die Chemotherapie unserer Tochter Johanna zu dokumentieren. Dass daraus ein Blog über die Verarbeitung von Trauer über den Verlust des eigenen Kindes werden würde, hab ich nicht vorausgesehen. Hier möchte ich ihre Geschichte erzählen, damit sie nicht vergessen wird. Aber vielleicht kann ich anderen Betroffenen auch ein wenig helfen.